02 Mein Licht – Spot 5

Das innere Kind heilen

„Ich bin so krank wie meine Geheimnisse.“

Wenn mich also das krank macht, was ich in meinen dunklen Ecken verstecke, kann ich mich heilen, indem ich meine dunklen Ecken beleuchte. Mein Ego will das nicht. Es hat bis jetzt gut funktioniert mit dem Selbstschutz. Also soll sich nichts ändern. Dafür ist es jetzt aber zu spät, mein liebes Ego. Ich bin auf meinem Weg, und ich werde jetzt nicht mehr stehen bleiben oder gar umkehren.

Ich lerne, wie ich einen Stein nach dem anderen aus den hintersten dunklen Winkeln meines Rucksacks heraushole. Und wie ein Vampir wird er im Licht zu Staub zerfallen.

„Über eine Sache zu sprechen, heißt, ihr den Schrecken zu nehmen und ihre Kraft zu bewahren.“

Die Scham hasst es, wenn sie in Worte gekleidet wird. Sie kann nicht überleben, wenn sie geteilt wird. Die Scham liebt Verschwiegenheit. Das Gefährlichste, was ich nach einer Blamage tun kann, ist, meine Geschichte zu verstecken oder zu begraben. Wenn ich meine Geschichte verleugne, dann bildet sie Metastasen und wächst in mir wie ein Geschwür.

Die Angst, die Unsicherheit, das Gefühl der Minderwertigkeit wächst und gedeiht, wenn ich nicht darüber spreche. Deshalb liebt die Angst Perfektionisten. Wenn ich aber beginne, über sie zu sprechen, beginnt sie zu schwinden. Nur wenn ich den Mut habe, in meine dunklen Ecken zu blicken, werde ich die Macht meines Lichtes entdecken.

„Feel the shit!“

Spielen wir mal so eine Attacke auf unseren Selbstwert durch. Was passiert, wenn ich niedergemacht werde? Es ist Samstagabend. Ich bin auf einer Feier – Freundinnen, Bekannte, ein paar neue Gesichter. Die Stimmung ist ausgelassen, es wird getanzt, gelacht, getrunken. Und irgendwann beginnt er, dieser unausgesprochene Schönheitswettbewerb, den viele von uns so gut kennen.

Selfies werden gemacht, Filter drübergelegt, Komplimente verteilt, aber nicht ohne den obligatorischen Vergleich: „Oh mein Gott, hast du abgenommen?“ – „Du siehst so gut aus, ich muss echt wieder mehr Sport machen!“ – „Boah, mit meinen Beinen kann ich einfach keine kurzen Röcke anziehen.“

Ich trage ein schlichtes Kleid, fühle mich wohl – eigentlich. Aber spätestens ab dem vierten „Du gehst echt mutig mit deinen Kurven um – Respekt!“ fängt dieses gute Gefühl an, zu bröckeln. Dann die nächsten Sprüche:

„Willst du wirklich noch was vom Buffet?“ „Du isst echt ohne schlechtes Gewissen, das ist beneidenswert.“ „Ich hätte so gerne deinen Stoffwechsel.“

Jetzt kann ich drei Wege einschlagen. Ich lache mit und tue so, als würde es mich nicht treffen. Vielleicht mache ich noch einen selbstironischen Spruch über meine „Problemzonen“, esse ab jetzt nichts mehr und trinke stattdessen zwei Gläser Prosecco, um nicht weiter aufzufallen. Vielleicht mache ich bei diesem Spiel mit: noch mehr Make-up, mehr Haut zeigen, lächeln, vergleichen, performen. Und am nächsten Tag spüre ich: Ich habe mich verkauft. Ich war nicht ich.

Oder Möglichkeit zwei: Ich sage gar nichts mehr. Ziehe mich innerlich zurück, lasse die Spitzen an mir abperlen – oder tue zumindest so. Und obwohl ich in der Runde bleibe, fühle ich mich immer kleiner. Ja, ich bin dabei – aber als die, die sich nicht „gut genug“ macht. Als die, die eben nicht mithalten kann oder will. Als die, über die später vielleicht gelacht wird, weil sie „es nicht kapiert“.

Und dann gibt es noch diesen dritten Weg, den ich nur gehen kann, wenn ich gelernt habe: Ich bin gut genug. Ich erkenne, was hier gerade passiert. Kein harmloser Spaß – das ist verdeckte Abwertung unter dem Deckmantel von „nur nett gemeint“. Ich spüre den Knoten im Bauch, das Ziehen im Hals. Aber diesmal gehe ich nicht mit. Ich atme durch, setze ein freundliches, aber klares Lächeln auf und sage zu mir: „Ich mag mich so, wie ich bin. Ich werde mich nicht verleugnen und verbiegen, nur um dazuzugehören.“

Mir wird klar, dass ich zu dieser Runde gar nicht gehören will. Ich möchte gesehen werden – nicht beurteilt. Also ziehe ich meine Grenze. Ich verabschiede mich freundlich, hole mir noch ein Stück Kuchen und gehe. Vielleicht nach Hause. Vielleicht zu einer Freundin, die echt ist. Oder zu mir selbst – auf die Couch, mit Decke, meinem TDE und dem leisen Stolz: Ich habe mich selbst in Schutz genommen.

Was ist, wenn ich in einer Situation bin, aus der ich vermeintlich nicht aussteigen kann? Bei einem Meeting hat meine Chefin mich auf dem Kieker, wirft mir Fehler vor und macht sich über mich lustig. Wahrscheinlich kann ich nicht gut aufstehen, ihr sagen, dass sie ihren Minderwertigkeitskomplex an wem anderen auslassen soll und gehen – wobei es die richtige Reaktion wäre. Mein inneres Kind würde lernen, dass es sich auf mich verlassen kann, und meine Chefin würde einen weiteren Hinweis bekommen, dass sie auch noch an sich arbeiten darf.

Wie kann ich so eine Situation aber aushalten? Es gibt zwei verschiedene Ausgangssituationen. Ich frage mich ehrlich, ob an der Kritik etwas dran ist und ob ich tatsächlich etwas besser hätte machen können. Wenn dem so ist, bedanke ich mich innerlich bei meiner Chefin dafür, dass sie mir mein Verbesserungspotential zeigt.

Unter vier Augen kann ich ihr dann auch noch persönlich danken und ihr sagen, dass ich motiviert bin, mich zu verbessern und dazuzulernen. Ich kann ihr sagen, dass das Meeting aber sehr unangenehm für mich war und ich mich bloßgestellt gefühlt habe. Es hat mich noch lange Zeit beschäftigt. Zeit, die ich lieber für meine Arbeit und zum Lernen verwendet hätte. Ich kann sie bitten, mir ihre Verbesserungsvorschläge unter vier Augen mitzuteilen.

Komme ich zu dem Schluss, dass die Kritik ganz ehrlich nicht gerechtfertigt ist, muss ich mein inneres Kind in Schutz nehmen. Vielleicht hilft die folgende Weisheit eines alten griechischen Philosophen:

„Wenn dich jemand schlimm behandelt oder Schlimmes von dir redet, so bedenke, dass er es tut oder redet in der Meinung, er sei im Recht. Es ist nun nicht möglich, dass er dem folgt, was du für richtig hältst, sondern dem, was er dafür hält.

Wenn nun seine Meinung aber falsch ist, so hat er den Schaden, sofern er sich in einer Täuschung befindet. Denn wenn einer eine richtige Satzverbindung für falsch hält, so schadet dies der Satzverbindung nicht, sondern dem, der sich geirrt hat. Davon ausgehend wirst du dich gegen den Lästerer sanftmütig betragen. Denke nur jedes Mal: Er war der Meinung, dass …“

Eine weitere Quelle, in Scham zu versinken, ist folgendes Beispiel: Ich habe versehentlich oder im ersten Affekt eine böse Nachricht an jemanden geschickt und kann es nicht mehr rückgängig machen. Jemand hat mich attackiert und ich habe reagiert, ohne noch mal darüber zu schlafen. Ich habe Dinge gesagt oder geschrieben, die nicht durch die drei Pforten gegangen sind. Ich schäme mich dafür.

Die drei Pforten:

  • Ist es wahr?
  • Ist es notwendig?
  • Ist es freundlich?

Jetzt übernimmt das Reptiliengehirn die Kontrolle über mich. Meine Fähigkeit, logisch zu denken, wird abgeschaltet. Es geht nur noch um Kämpfen oder Flüchten. Ich gerate in Panik. Ich schreie andere Menschen an. Ich zerfalle komplett, ich verkrieche mich …

Jetzt brauche ich Hilfe, um wieder ins Denken zu kommen. Ich lege mir für solche Situationen einen Satz zurecht, den ich mir so lange laut vorsage, bis ich wieder klar denken kann. Beispiele:

  • Ich werde das überleben.
  • Ich bin ein guter Mensch.
  • Es gibt eine Lösung.
  • Ich komme da wieder raus.

Wenn ich jetzt einen Menschen habe, dem ich mich anvertrauen kann, ist das Gold wert. Die Scham hasst es, wenn man über sie spricht. Sie gedeiht im Verborgenen. Indem ich sie ausspreche und erzähle, was ich gemacht habe, schwindet sie. Sie trifft auf das Verständnis einer geliebten Person und löst sich in Luft auf.

Bin ich alleine, dann rede ich mit mir und meinem inneren Kind so, als würde ich mit einem geliebten Menschen reden. Und hey – ich liebe mich wirklich. Ich sage zu mir: „Ich bin okay. Das wird wieder. Ich komme da wieder raus. Ich bin kein schlechter Mensch. Der hat mich einfach auf die Palme gebracht. Mein Geduldsfaden ist gerissen – ich stehe dazu. Ich habe mich hinreißen lassen.“

Wenn dann der Rauch verflogen ist, kann ich mein TDE aufschlagen und in die Analyse gehen. Was ist passiert? Was war der Auslöser und was hat es in mir ausgelöst? Welche Glaubensätze gehören dazu? Was sagt mein inneres Kind dazu?

Was geht damit einher, aus vollem Herzen zu leben, mit offenem Visier, bereit, Verletzungen in Kauf zu nehmen, in die Arena zu ziehen? Es führt zu verletzten Herzen, Betrug und Blamage. Aber auch zu den tollsten Erlebnissen, zu tiefen Gefühlen, zu warmer Liebe, zu echter Verbundenheit, zu Vertrauen, zu Geborgenheit, zu emotionalem Erfolg, zu Glück, Zufriedenheit und zu mir selbst.

Also, was will ich? Sicherheit? Ein Leben, wo mir nichts passieren kann und in dem nichts passiert? Oder gehe ich das Risiko ein, angegriffen zu werden? Habe ich den Mut, meine Angst zu überwinden, mich zu zeigen und mein Leben mit berührenden Erlebnissen zu schmücken?

Was machen authentische Menschen, die ein Leben aus vollem Herzen führen?

Sie kümmern sich einen Scheiß darum, was andere über sie denken. Darum sind sie beliebt und gehören dazu.

Sie sind nicht perfekt, waren nie perfekt und werden nie perfekt sein. Darum sind sie richtig gut in dem, was sie tun.

Sie fürchten sich vor keiner emotionalen Situation, gehen aber immer respektvoll mit sich und anderen um.

Sie leben in der Fülle und nicht im Mangel. Ihr Glas ist immer halbvoll.

Sie wissen: Wer Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, bekommt weder Freiheit noch Sicherheit. Wer sich wünscht, dass alles bleibt, wie es ist, wird immer leiden.

Sie vergleichen sich nicht mit anderen, höchstens mit sich selbst. Sie zeigen, was SIE können.

Sie klagen und jammern nicht. Erschöpfung ist kein Statussymbol für Leistung. Für Spiel und Entspannung ist immer genügend Zeit.

Sie glauben daran, dass es auch gut werden kann. Sich Sorgen zu machen, ist absurd. Ich habe nicht ausreichend gesicherte Informationen, um zu wissen, dass etwas Schlimmes passieren wird. Das Ausmaß an Sorgen, die ich mir mache, wird nichts daran ändern, was passieren wird.

Sie machen nicht, was alle machen oder andere von ihnen erwarten, weil sie intuitiv wissen, dass sie etwas zu bieten haben.

Sie lachen, singen und tanzen, weil das cooler ist als zu versuchen, möglichst cool zu wirken und alles unter Kontrolle zu haben.

Ich eigne mir den Mut an, mich zu zeigen und gesehen zu werden, selbst wenn es bedeutet, Fehlschläge, Verletzung, Scham und vielleicht sogar einen tiefen Fall in Kauf zu nehmen. Warum? Weil die Haltung, sich zu verstecken, etwas vorzutäuschen und sich gegen Verwundungen zu wappnen, tödlich ist: Sie tötet meinen Geist, meine Hoffnung, mein Potenzial, meine Kreativität, meine Fähigkeit zu führen, meine Liebe, meinen Glauben und meine Freude.

Ich muss mir Liebe, Zugehörigkeit, Beachtung und Freude nicht verdienen. Sie kommt ganz von alleine zu mir, wenn ich zu mir stehe und aufhöre, darum zu kämpfen.

Ich bin völlig ungeschützt, wenn ich in den Ring steige. Ich kann verletzt werden in der Folterkammer, Ausgang ungewiss, großes Risiko, angreifbar, offen. Aber es ist die einzige Möglichkeit, meinen Weg zu gehen, ohne im Sumpf von Konventionen, People Pleasing und der Erfüllung von Pflichten und Regeln anderer zu versinken. Ist das Schwäche? Nein, das ist Mut! Auch wenn alle um mich herum etwas anderes sagen und mich für verrückt halten.

Wenn ich anfange, mich zu trauen, mich mit meinen Stärken und Schwächen zu zeigen und in die Arena steige, dann lerne ich auch ganz schnell, wer zu mir steht und wer nicht. Meine Freundinnen und Freunde werden nämlich nicht im Publikum sitzen und mit dem Finger auf mich zeigen. Sie werden mir wieder auf die Beine helfen, wenn mir jemand ein Bein gestellt oder mich verletzt hat. Ja, sie sind vielleicht sogar neben mir in der Arena und halten zu mir, auch wenn es unbequem ist.

Eine Chefin, die ihr Team um Unterstützung bittet, weil sie nicht für alles bereits eine Lösung hat, wird ein kreatives und starkes Team aufbauen. Eine Angestellte, die ihre Chefin um Hilfe bittet, weil sie etwas nicht versteht und dazulernen möchte, wird jede Unterstützung bekommen. Eine Künstlerin, die auf der Bühne einen Fehler macht und dabei über sich selbst lachen kann, wird tosenden Applaus dafür bekommen.

Die Angst vor Blamagen und die damit einhergehende Mutlosigkeit sind die Innovationskiller schlechthin. Ich lasse es nicht mehr zu, dass ich mich selbst blockiere. Ich will in meiner Beziehung, meiner Familie, meinem Team einen Geist entwickeln, der Neues zulässt. Wo niemand beschimpft und klein gemacht wird, weil er mutig neue Wege geht. Wo Fehler gefeiert werden, weil sie zeigen, dass etwas gewagt wird.

Eltern, die ihre Kinder ernst nehmen, ihnen zuhören, sie verstehen wollen, sie ermutigen, etwas auszuprobieren, immer hinter ihnen stehen und sie wieder aufmuntern, die nicht versuchen, ihre Kinder nach ihren eigenen Vorstellungen zu formen, die die Grenzen ihrer Kinder respektieren, die Äußerlichkeiten nicht überbetonen und die stets daran arbeiten, eine liebevolle und wertschätzende Umgebung zu schaffen, in der alle Gefühle erlaubt sind und getragen werden –

– solche Eltern sind das wertvollste Geschenk für jede Gesellschaft. Sie bringen Kinder in diese Welt, die mit ihrer Angst umgehen können. Und Menschen, die mit ihrer Angst umgehen können, machen nichts kaputt.

Emotional erfolgreich werde ich nur in der Verbindung mit anderen Menschen. Ich mache den ersten Schritt auf andere zu. Ich zeige ihnen, wer ich wirklich bin. Ich bin gut genug. Ich bin weder richtig noch falsch. Ich bin einfach nur anders. So wie wir alle auch einfach nur anders sind. Ich gebe den Kampf auf, alles kontrollieren zu wollen.

Ich schaue nicht zu weit in die Zukunft. Es kommt immer anders als geplant. Ich gebe mich dem Leben hin. Das Leben lebt mich bereits. Ich gebe dem Leben eine Chance, dass es mich als Mensch genießen kann und nicht nur meine Fassade, meine Maske, meine Person und meinen Schutzpanzer. Ich schäme mich nicht für das, was darunter zum Vorschein kommt.

Wenn ich unsicher werde, Hemmungen habe, zurückhaltend, schüchtern oder verlegen bin, mich minderwertig oder verklemmt fühle, brauche ich meine neuen Superkräfte, um meine alten Fesseln zu sprengen und mich zu zeigen. „Hier bin ich. Ich bin gut – nicht perfekt. Ich kann etwas – nicht alles. Ich bin bereit, auf die Schnauze zu fallen – dann muss ich halt noch was dazulernen. Ich will ein Leben aus vollem Herzen führen – mit allen Höhen und Tiefen – ohne Handbremsen.“