02 Mein Licht – Spot 4

Verwundbarkeit in der Partnerschaft

Gibt es eine größere Ressource für Leid, als wenn wir uns verlieben? Wie viel Verletzung, Schmerz und Leid passiert in dieser Sekunde gerade zwischen zwei Menschen? Ich werde lernen, die zerstörerischen Muster zu erkennen, loszuwerden und ein guter Partner zu sein.

Mir wird klar, dass die äußeren Erwartungen an Mann und Frau nicht erfüllbar sind, weil sie sich gegenseitig ausschließen. Wie wäre es, wenn wir uns einfach mal gegenseitig in Ruhe lassen und nicht dauernd am anderen herumziehen? Ich werde mal versuchen herauszufinden, was eigentlich meine persönlichen Erwartungen an mich selbst sind.

Wenn ich lerne, meine Muster in Bezug auf die Angst vor Blamage und Verletzung zu überwinden, werde ich als Partner auf ein komplett neues Level kommen. Meine erste Liebe habe ich erfahren, als ich ein Kind war. Die Verbindung zu meinen Eltern und Bezugspersonen war das Muster oder die Blaupause für meine ideale Liebesbeziehung. Dieses gelernte Fühlen, Denken und Handeln übertrage ich auf meine Beziehungen als Erwachsener.

Dieses Thema ist so groß und wichtig, dass es das ganze nächste Kapitel füllt (03 „Meine Liebe“). Hier kommt vorab eine vereinfachende Übersicht. Der Erwartungsdruck, den die Medien (Film, Literatur, Musik, soziale Medien …) zum Thema Liebe und Partnerschaft aufbauen, ist unerträglich. Was muss ich als Mann alles sein, um der perfekte Partner zu sein? Die Grundbotschaft lautet: Sei stark!

Ich muss mir Gefühle verkneifen, Geld verdienen, nach oben kommen, andere in ihre Schranken weisen, Frauen beeindrucken, sportlich und gut gebaut sein, witzig und attraktiv. Daneben soll ich aber auch Gefühle zeigen, emotional sein, einfühlsam und Schwäche zeigen.

Frauen sollen von Natur aus schön, schlank und in allem perfekt sein – als Mutter, als Tochter, in Küche und Haushalt, als Freundin, am Arbeitsplatz und im Bett. Und das scheinbar mühelos. Die Anforderung lautet: Bleib möglichst lieb, hübsch, ruhig und bescheiden.

Meine Eltern und Bezugspersonen, die Gesellschaft, in der ich lebe, und die Medien geben mir einen riesigen Anforderungskatalog mit auf den Weg, wie ich als Partner sein muss. Ich habe wahrscheinlich keine Chance bekommen, mir selbst eine Richtung zu geben.

Das Zerstörerische an diesem Anforderungskatalog ist, dass sich die Anforderungen gegenseitig ausschließen und es daher unmöglich ist, sie zu erfüllen. Wenn ich nicht lerne, diese Muster zu erkennen und zu verändern, kann ich nur scheitern.

Als Mann muss ich:

Stark sein und Schwäche zeigen

Beruflich erfolgreich und immer für die Familie da sein

Viel Geld verdienen und Zeit für die Liebsten als wichtigsten Wert ansehen

Andere auf ihre Plätze verweisen und ein milder Wohltäter sein

Nach oben kommen und andere stets rücksichtsvoll und zuvorkommend behandeln

Ein Playboy sein, der nur seine Partnerin anschaut

Spontan, witzig und locker sein, während ich alles im Griff habe und organisiere

Sportlich, trainiert und fit sein und jeden Abend Zeit haben für Zweisamkeit

Wissen, was ich will, und klare Ansagen machen, während ich meiner Partnerin jeden Wunsch von den Lippen ablese

Meiner Familie Sicherheit bieten und meinen eigenen Weg gehen

Ein Hengst im Bett sein, der einfühlsam seine Partnerin verwöhnt

Eine Frau muss:

Dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, und das von Natur aus

Die Gefühle anderer nicht verletzen und immer sagen, was sie denkt

Stets Lust auf Sex haben, nachdem sie die Kinder ins Bett gebracht, den Hund Gassi geführt, die Wohnung aufgeräumt und für morgen vorgekocht hat

Karriere machen und nebenbei eine perfekte Familie pflegen

Selbstvertrauen und Selbstsicherheit ausdrücken (vor allem, wenn sie jung und sexy ist) und einfach sie selbst sein (aber nicht, wenn sie schüchtern und unsicher ist)

Eine einladende Wärme ausstrahlen und anderen keine schönen Augen machen

Die perfekte Balance aus emotional und distanziert sein – emotionale Frauen gelten schnell als hysterisch und distanzierte Frauen als kalt und berechnend

Alle Sexpraktiken dieser Welt kennen und lieben und sie nur einem Mann exklusiv zur Verfügung stellen

Eine perfekte Ehefrau, Mutter, Hausfrau, Tochter, Schwiegertochter und Gastgeberin sein, und das mühelos, und daneben für alles Zeit und für jeden ein offenes Ohr haben

Die Angst vor Versagen und die Scham, die damit verbunden ist, kann in Liebesbeziehungen erdrückend sein. Die Schutzmechanismen gegen diese Angst führen zu schweren gegenseitigen Verletzungen.

Ich rufe mir meine neuen Glaubenssätze aus dem Kapitel 01 „Mein Weg“ wieder in Erinnerung. Ich vergleiche mich nicht mit anderen – höchstens mit mir selbst. Ich bin richtig. Ich mache das richtig gut. Ich bleibe bei mir. Meine Meinung zählt, einfach nur darum, weil es meine ist. Ich bin mütterlich gut zu mir selbst.

Ich habe bereits die Werkzeuge, um mich selbst aus diesem Schlamassel zu befreien. Nach jeder schwierigen Situation setze ich mich an mein TDE. Vielleicht habe ich mich wieder nicht getraut, klar zu sagen, was ich will, weil ich Angst vor Zurückweisung hatte. Ich beschreibe die Situation. Was ist passiert? Wie ist es mir ergangen? Was habe ich gefühlt? Was hat mein Ego dazu gemeint? Wie habe ich gehandelt?

Ich muss das aber nicht nur alleine tun. Meiner Partnerin geht es genau gleich wie mir selbst. Ich kann also all meinen Mut zusammennehmen und mit ihr sprechen. Die Scham hasst es, wenn man über sie spricht. Sie löst sich dadurch auf. Ich kann mit kleinen Dingen beginnen, um Vertrauen zu gewinnen.

„Dem richtigen Menschen kann ich nichts Falsches sagen.“

Stoße ich auf Verständnis, Erleichterung und die Bereitschaft, in die dunklen Ecken zu blicken, können wir gemeinsam unsere Verbindung heilen. Entdecke ich, dass ich mich in einer toxischen Beziehung befinde, in der die Muster meiner Kindheit aktiv sind und keine Bereitschaft zur Veränderung da ist, muss ich eine Verbindung auch trennen. Sonst leiden beide und es wird kein gutes Ende nehmen.

Es geht darum, Intimität zu kultivieren – sowohl körperliche als auch emotionale. Dafür muss ich den Mut aufbringen, mich zu zeigen. Ich steige in die Arena und sage: Das mag ich und das mag ich nicht. Und wenn wir das beide schaffen, in ehrlichen und liebevollen Gesprächen, und unseren Mut gegenseitig feiern, wächst daraus eine starke Verbindung, die beide nährt.

Das ist gemeint, wenn Partner miteinander reden sollen. Wir können uns gegenseitig die Angst nehmen, dass wir falsch sind, minderwertig oder krank. Wir breiten den Anforderungskatalog vor uns aus und gestehen uns gegenseitig ein, dass wir ihn nicht erfüllen können und auch nicht erfüllen wollen.

Ja, ich weiß, es ist verdammt schwer, über meinen Körper, das Altern, Krankheiten, Geld, Sex, Erziehung, Selbstwert, Erschöpfung, Ärger und Angst zu sprechen. Ich fühle mich vollkommen schutzlos und kann jederzeit blamiert und zutiefst verletzt werden. Aber ich weiß, meiner Partnerin geht es genauso, und das verbindet.

Meine eigene Sexualität zu leben ist ein Grundbedürfnis, so wie Schlafen, Essen und Trinken. Dass dieses Thema so unfassbar belastet ist, treibt mich in den Wahnsinn. Ich lerne Schrittchen für Schrittchen, mir selbst eine Richtung zu geben und diese mutig, frei von Angst vor Verletzung, Zurückweisung und Scham zu kommunizieren und zu kultivieren.

Was ist Liebe?

Wir können sie mit Worten nicht fassen. Genauso wenig wie Freiheit und Abenteuer. Man kann sie nur erleben, spüren und fühlen. Liebe ist nichts, was ich gebe oder bekomme. Sie ist etwas, das ich nähren und wachsen lassen kann; eine Verbindung, die nur dann zwischen zwei Menschen gepflegt werden kann, wenn sie auch in jedem Einzelnen der beiden existiert.

Und sie kann nur so stark werden wie jeder Einzelne bereit ist, ein Leben aus vollem Herzen zu leben – ohne Angst vor Scham, Unsicherheit, Hemmung oder Verklemmtheit. Ein Leben voll mutiger und vertrauensvoller Hingabe.

In dieser Liebe kann jeder sowohl seine verletzlichen und schwierigen Seiten, wie auch sein kraftvollstes Selbst in seiner ganzen Tiefe zeigen und im anderen erkennen. Mit Hingabe würdigen wir uns gegenseitig für unser Vertrauen, den Respekt, die Freundlichkeit und Zuneigung.

Zurückhaltung, Schuldzuweisungen, Vertrauensbrüche und ein großes Maß an Geheimnissen schaden den Wurzeln, aus denen Liebe wächst. Liebe kann diese Verletzungen nur dann überleben, wenn sie selten sind, anerkannt werden und jeder die Chance bekommt, sie zu heilen.