01 Mein Weg – Schritt 1

Auf mich habe ich gewartet

Und nun zur wichtigsten Schlagzeile des Tages: „Niemand wird kommen, um mich zu retten.“

Ich kann entweder weiterhin leugnen, wer ich bin, mich für andere verbiegen, meine Grenzen missachten und mir einreden, dass, wenn das oder jenes passiert, alles besser wird. Oder ich kann jetzt den ersten Schritt auf mich selbst zugehen und erkennen, dass ich mein Leben selbst gestalten kann. Auf mich habe ich gewartet. Dabei lerne ich, wer dieses ICH überhaupt ist. Was kann ich wirklich werden?

„Wenn ich morgen im Lotto gewinne, muss ich nicht mehr diesen Scheißjob machen.“

„Wenn die Kinder aus dem Haus sind, kann ich endlich mehr reisen und wieder Motorradfahren.“

„Wenn ich meine Beziehung beenden könnte, würde ich ein neues Leben anfangen.“

„Wenn ich in Pension bin, kaufe ich ein Segelboot.“

Diese Glaubenssätze bewahren mich davor, den ersten Schritt zu machen. Etwas oder jemand da draußen hindert mich daran, mich zu bewegen. Jemand ist schuld an meiner Misere. Und dann finde ich einen Zettel, auf dem steht: „Ich halte es für möglich, dass ich mich irre.“

Niemand anderes kann den ersten Schritt für mich gehen. Ich will endlich wissen, wer ich bin. Ich will wissen,

  • warum ich wütend werde,
  • wovor ich Angst habe,
  • warum ich überhaupt Angst habe,
  • warum ich manche Menschen nicht ausstehen kann und
  • warum ich die Nähe bestimmter Menschen suche,
  • was mich traurig macht,
  • wofür ich mich schäme,
  • worüber ich lache und
  • was mich erstaunt.

Somit habe ich den ersten Schritt bereits gemacht. Ich bin bei NOFOR gelandet. Ich habe bis hierher gelesen, habe Zettel beschriftet, sie in meiner Wohnung verteilt und beschäftige mich mit mir selbst. Ich bin auf meinem Weg und ich bin es absolut wert, dass ich mir diese Zeit für mich nehme. Meine Gedanken und meine Gefühle sind richtig, einfach nur darum, weil es meine sind.

Wie finde ich jetzt das alles über mich heraus, wer ich wirklich bin und was ich wirklich sein kann? Die Antwort lautet: Ab jetzt brauche ich Unterstützung und ich brauche Geld, das ich investieren kann. Ich schnappe dieses Geld, gehe in ein Geschäft und kaufe ein Büchlein mit leeren Seiten. So ähnlich wie ein Tagebuch. Vorher schaue ich noch zu Hause, ob ein geeignetes Büchlein irgendwo rumliegt. Diesem Büchlein gebe ich dann einen Namen: „Tagebuch der Enttäuschungen“. Das war’s. Mehr brauche ich nicht.

Klingt komisch, oder? Enttäuschungen sind doch etwas Negatives? In dem Wort steckt die Täuschung. Ich habe mich also täuschen lassen. Und jetzt, da ich diese Täuschung entdecke, bin ich enttäuscht. Ich hatte mir etwas erwartet, was dann nicht in Erfüllung gegangen ist. Und genau aus dieser bestimmten Situation kann ich alles über mich selbst lernen. In jeder Enttäuschung stecken meine Erwartungen und meine Glaubenssätze.

Beispiel:
„Ich dachte, du holst mich ab. Du hättest doch wissen müssen, dass ich mit dem Zug um 18:20 ankomme. Aber du warst nicht da und so musste ich zu Fuß gehen.“

So führt jede Enttäuschung auf direktem Weg zu meinen Glaubenssätzen:

„Wenn du mich wirklich liebst, musst du dir merken, wenn ich dir eine Ankunftszeit sage und von selbst draufkommen, dass ich abgeholt werden möchte.“

Diese Glaubenssätze sind aber nicht in Stein gemeißelt. Zwar habe ich sie mir vielleicht schon sehr früh, z. B. als Kind, zurechtgelegt, dennoch lähmen mich viele dieser Glaubenssätze in meinem täglichen Leben und in meiner Entwicklung.

Meine Partnerin muss gar nichts. Sie hat vielleicht gerade selber viel um die Ohren. Wenn ich etwas will, kann ich danach fragen. Davon auszugehen, dass mein Gegenüber meine Wünsche erahnen könnte, geht immer schief.

Ich schreibe die emotionalen Momente des Tages in mein Tagebuch. Wie ist es mir ergangen? Was ist passiert? Welche Gefühle habe ich wahrgenommen? Was habe ich mir gedacht? Was habe ich in meinem Körper gespürt und wie habe ich reagiert? Daraus kann ich meine Erwartungen und Glaubenssätze ableiten. Dann überprüfe ich, ob sie mir wirklich dienen, oder ob ich sie lieber ändern oder loswerden will.

Beispiel:
Meine Partnerin hat mich also nicht vom Zug abgeholt, obwohl sie hätte wissen müssen, wann ich ankomme. Das hat mich furchtbar aufgeregt und zu Hause habe ich dann einen Riesenstreit vom Zaun gebrochen mit „Du liebst mich nicht“, „Ich bin dir egal“ und „Du denkst nur an deine Arbeit“ und allem Drum und Dran.

In mein TDE (Tagebuch der Enttäuschungen) schreibe ich also die Episode mit dem Zug auf. Die Gefühle, die ich erlebt habe, waren Wut, Ärger, Enttäuschung, Traurigkeit und Rache. Ich kam mir klein und unwichtig vor. Ich hatte das Gefühl, der einsamste Mensch zu sein. Vor lauter Wut bekam ich zuerst Herzrasen und einen heißen Kopf.

Später bekam ich feuchte Augen, als die Traurigkeit über mich kam. Und als sie dann nach Hause kam, hat sich all das in ihre Richtung entladen. Ich war mir ganz sicher, dass sie an meiner Misere schuld ist.

Jetzt, mit ein bisschen Abstand zu dem Ereignis, frage ich mich, ob es sein kann, dass ich mich vielleicht irre. Welchen Anteil habe ich an der Geschichte? Welche Erwartungen wurden enttäuscht? Was für Glaubenssätze tauchen auf? „Ich bin nicht wichtig. Ich bin nicht liebenswert. Ich bin alleine.“

Vielleicht hätte ein einfacher Beisatz diesen Streit verhindern können: „Ich komme mit dem Zug um 18:20 zurück. Wäre es dir möglich, mich dann abzuholen?“ Aus dem Zug kann dann noch eine Nachricht hilfreich sein: „Mein Zug ist pünktlich um 18:20 da und ich freue mich schon riesig, dich zu sehen.“

Natürlich wäre es fein, wenn alle um uns herum unsere Wünsche immer erraten und für uns mitdenken. Vergiss es! Das wird nie passieren! Und sie lieben uns trotzdem. Vielleicht hat meine Partnerin einen Job, wo sie voll konzentriert sein muss und ihr Privatleben in ihrem Kopf erst Raum bekommt, wenn sie ihr Büro verlässt.

Ich höre auf, mich zu fragen, was andere Menschen denken. Ich kümmere mich um mich selbst. Wenn ich etwas haben möchte, frage ich danach und warte nicht darauf, dass jemand anderes meine Bedürfnisse errät. Ich bin wichtig, ich bin liebenswert und ich bin auf meinem Weg. Ich mache das richtig gut und jedes Mal ein bisschen besser.

In meinem TDE stehen also bei jeder Geschichte:

  • Meine Gefühle
  • Meine gespürten Körperreaktionen
  • Meine Gedanken
  • Die Art und Weise, wie ich gehandelt habe
  • Meine verknüpften Glaubenssätze
  • Die Art und Weise, wie ich das nächste Mal handeln möchte
  • Meine neuen Glaubenssätze

Diese Übung erfordert Zeit und Geduld. Manchmal bin ich so wütend und geladen, dass ich überhaupt keine Lust habe, mich zu beruhigen und in mein TDE zu schreiben. Ich weiß, dass ich ein Recht habe, sauer auf jemanden zu sein. Das ist völlig okay. Ich mache mir keinen Druck.

Ich gehe meinen Weg in meinem Tempo. Ich platziere mein TDE so, dass es mir immer wieder in die Hände fällt. Und wenn ich die ersten Veränderungen und Erleichterungen bemerke, kann es fast schon zu einer Art Sucht werden.

Freiheit ist der Wille, mir selbst gegenüber verantwortlich zu sein. Auf gut Deutsch: Ich kümmere mich um meinen Kram. Ich höre auf, über andere zu schimpfen. Ich höre auf, darauf zu warten, dass es von selbst besser wird und jemand oder etwas mich rettet. Und je mehr ich das mache, desto besser geht’s mir.

„Viele Menschen sind zu faul zum Nachdenken – darum zeigen sie mit dem Finger auf andere.“